Ein Spaziergang durch das Westend: ein Viertel im Aufbruch. 25 Nationen leben hier in bester Nachbarschaft.
Schnecke Ilse hat den Überblick. Aus Ton und über vier Meter hoch lächelt sie freundlich und gelassen auf den Bavariapark herab. Um sie herum herrscht buntes Treiben: Kinder lernen hier gerne Radfahren, Einheimische und Gäste lassen es sich im nahen Biergarten gut gehen.
Schnell ist so eine Schnecke nicht, mit ihrem Haus jedoch uneingeschränkt mobil: Ilses „Eltern“, die renommierten amerikanischen Künstler Jason Rhoades und Paul McCarthy, haben sich schon etwas dabei gedacht, als sie ihre „Sweet Brown Snail“ genau gegenüber dem Verkehrszentrum des Deutschen Museums platziert haben. Hier gibt es spannende Einblicke und Unterhaltung – nicht nur für Technik-Fans!
Das Verkehrszentrum zeigt in seiner einzigartigen Sammlung von Landfahrzeugen die Geschichte des Reisens und Formen der Mobilität von gestern, heute und morgen. Während beim Anblick einer alten Vespa, einer blau-weiß lackierten S-Bahn aus der Zeit der Olympischen Sommerspiele 1972 oder der ersten Rollschuhe nostalgische Gefühle aufkommen, lassen sich im Kutschensimulator die ungemütlichen Reisebedingungen zur Zeit Mozarts nachempfinden.
Von eigens errichteten Bahnsteigen aus kann man in historische und moderne Züge einsteigen. Mit einem schrillen Pfiff setzt sich jeden Tag um 15 Uhr „Puffing Billy“, die erste Dampflok der Welt, in Bewegung. Regelmäßige Vorführungen zeigen viele verschiedene Fahrzeuge in Aktion. Apropos Züge ...
Während des zweiwöchigen Oktoberfests von Mitte September bis Anfang Oktober hört man schon von hier aus, zu Füßen der Bavaria, die Musik aus den Bierzelten und die Geräusche der Fahrgeschäfte.
... die Hackerbrücke, eine historische Eisenkonstruktion aus dem 19. Jahrhundert, verbindet den Hauptbahnhof mit dem Westend. Mit Blick über die Gleise und in Richtung Innenstadt bis zur Frauenkirche wird sie nicht nur genutzt, um von A nach B zu gelangen, sondern auch, um den Sonnenuntergang zu genießen. Großstadtromantik – das kann die Hackerbrücke wirklich sehr gut, denn mit ihrem pittoresken Brückengeländer ist sie für Gäste wie Einheimische ein Treffpunkt für ein Feierabendbier – und demnach schon lange kein Geheimtipp mehr.
Für alle Fans vom Oktoberfest beginnt die Feierfreude meist mit der Überquerung der Hackerbrücke, gemeinsam mit Tausenden Menschen, die aus der ganzen Welt angereist sind. Auf dem Weg wird oftmals schon das erste Bier geöffnet, gesungen und sich für später auf dem Gelände verabredet. Brücken verbinden. Die Hackerbrücke ganz besonders.
Ein paar Meter weiter östlich des Bavariaparks geht es steil bergab: Wie bereits beim Pferderennen anlässlich der Hochzeit des Kronprinzen Ludwig mit Therese, dem ersten Oktoberfest 1810, ist die Hangkante bei der Bavaria eine einzigartige, natürliche Aussichtstribüne. Von hier aus hat man einen unverstellten Blick auf das größte Volksfest der Welt.
Während des zweiwöchigen Oktoberfests von Mitte September bis Anfang Oktober hört man schon von hier aus, zu Füßen der Bavaria, die Musik aus den Bierzelten und die Geräusche der Fahrgeschäfte. Ein Hauch von Steckerlfisch und gebrannten Mandeln weht einem dabei um die Nase.
Im Dezember überblickt man von hier das stimmungsvolle Lichtermeer des Tollwood-Winterfestivals und kann das Silvester-Feuerwerk genießen.
Es ist noch nicht lange her, dass die Einheimischen unter dem Westend ein „Glasscherbenviertel“ verstanden. So gar nichts hatte es vom repräsentativen, klassizistischen Isar-Athen, wenngleich die kolossale Statue der Bavaria und der elegante Bau der Ruhmeshalle auch damals schon den Auftakt ins Viertel bildeten.
Bis ins frühe 19. Jahrhundert war die Gegend kaum bewohnt. Erst mit der nach 1850 einsetzenden Industrialisierung entstanden zahlreiche Fabriken. Während es im 19. Jahrhundert vor allem Arbeiter aus dem Umland waren, die in die Nähe der Fabriken zogen, so haben seit den 1960er-Jahren viele ausländische Arbeitskräfte im Westend eine neue Heimat gefunden. Durch zahlreiche Initiativen und Einrichtungen leben heute bis zu 25 verschiedene Nationen in diesem Viertel in bester Nachbarschaft.
Bis in die 1980er-Jahre schlossen die meisten Fabriken und wurden abgerissen. An ihrer Stelle entstanden schöne begrünte Innenhöfe. Viele Bauten aus der Gründerzeit sind inzwischen renoviert. Seit der Verlegung der Messe 1998 in den Osten von München entstand auf der Schwanthalerhöhe rund um den Bavariapark ein neues Wohn- und Geschäftsquartier.
Mit dem Wohnturm, einer Reminiszenz an den ehemaligen Messeturm, setzte sich hier der Münchner Stararchitekt Otto Steidle vor seinem Tod 2004 ein letztes architektonisches Denkmal. Augenfällig durch seine bunte Keramikverkleidung ist in der Nachbarschaft auch das KPMG-Gebäude der Architekten Steidle und Partner. Bekrönt wird der Innenhof mit der „Doppelhelix“ des international bekannten Künstlers Olafur Eliasson.
Für Tradition steht Münchens älteste Brauerei Augustiner, die seit 130 Jahren ihre Heimat im Westend hat. Der große und urige Biergarten des Augustiner-Kellers nördlich der Hackerbrücke ist bis heute ein beliebter Treffpunkt der Einheimischen und ihrer Gäste.
Ein besonders origineller Ort zum Frühstücken befindet sich in der Parkstraße 2. Bis vor wenigen Jahren befand sich in diesem Laden-Café ein Textilwarenhaus. Die hölzerne Inneneinrichtung mit Ladentheke und Regaleinbauten mit hunderten von kleinen Schubladen aus den 1920er-Jahren steht noch. Die individuell zusammengewürfelten Sitzgarnituren aus der Zeit von 1900 bis 1960 kann man käuflich erwerben.
Der große und urige Biergarten des Augustiner-Kellers nördlich der Hackerbrücke ist bis heute ein beliebter Treffpunkt der Einheimischen und ihrer Gäste.
Wie tief die Menschen in ihrem Viertel verwurzelt sind, erlebt man beim Gespräch mit einer älteren Dame, die in jungen Jahren Kellnerin auf der Wiesn war und heute jeden Tag in die Stadt fährt, um im Alten Peter für alle Leute in ihrer Hausgemeinschaft zu beten. Man kennt sich, hält zusammen, und da die wenigsten Wohnungen eigene Gärten haben, trifft man sich an den zentralen Plätzen zum „Ratschen“ und Spielen.
Das bunte Miteinander des Viertels schlägt sich auch in der Vielfalt der Gastronomiebetriebe nieder: Von türkisch über äthiopisch, italienisch, griechisch, französisch und karibisch bis zu thailändisch, japanisch, spanisch und vietnamesisch sind alle Geschmacksrichtungen vertreten.